Berlin, den 26. Januar 2017
Mit Schreiben vom 16.12.2016 wurde dem Deutschen Behindertenrat (DBR) die Gelegenheit für eine Stellungnahme zum Entwurf eines Erlasses zur "Regelung von Mindestanforderungen an die Mitnahme von E-Scootern in Linienbussen des ÖPNV" eingeräumt.
Die Verbände des DBR betonen, dass der DBR ein Aktionsbündnis ist. Das Recht zu eigenen Stellungnahmen liegt daher weiter uneingeschränkt bei den DBR-Mitgliedsverbänden. Die DBR-Mitgliedsverbände entscheiden selbst, ob sie bei übereinstimmenden inhaltlichen Bewertungen als Aktionsbündnis auch darüber hinausgehend DBR-Positionierungen abgeben. Dies ist vorliegend erfolgt.
Zum einleitenden Vorwort
Die DBR-Verbände begrüßen den im Vorwort zum Ausdruck kommenden politischen Willen, die Mitnahme von E-Scootern in Linienbussen des ÖPNV nunmehr bundesweit verlässlich zu regeln und damit rechtssichere Beförderungsansprüche für mobilitätseingeschränkte Menschen zu normieren.
Gelungen ist auch die ausgewogene Darstellung und Abwägung zwischen der allgemeinen Beförderungspflicht und den möglichen Gefahren durch die Mitnahme von E-Scootern. Zugleich weist das Vorwort zu Recht auf die Feststellungen des BGH (Urteil vom 2.10.12, AZ VI ZR 311/11) hin, wonach eine Verkehrssicherung, die jede Schädigung ausschließt,im praktischen Leben nicht erreichbar sei und insoweit ein abstraktes vollständiges Verbot, andere nicht zu gefährden, utopisch wäre. Unmögliche Sicherheitsgarantien dürfen insoweit nicht verlangt werden.
Der DBR stellt fest, dass es sich bei E-Scootern um ein medizinisches Hilfsmittel handelt und würde es sehr begrüßen, wenn dieses Verständnis auch den vorliegenden Regelungen zugrunde gelegt würde.
Zu 1. Anforderungen an E-Scooter
Die vorgeschlagenen Mindestanforderungen entsprechen dem Kompromiss des "Runden Tisches" NRW, an welchem die Behindertenverbände beteiligt waren. Die dortigen Beratungsergebnisse haben die Behindertenverbände, wenn auch mit großen Bedenken, noch mitgetragen. Die DBR-Verbände verweisen darauf, dass gemäß dem 1. ergänzenden STUVA-Gutachten mit diesen Anforderungskriterien nur 25 - 30 Prozent der derzeit am Markt befindlichen vierrädrigen E-Scooter mitnahmefähig wären. Damit bleiben die Mehrzahl der E-Scooter, auch faktisch verkehrssichere, aber nicht über die formellen Nachweise ver-fügende Modelle und verkehrssichere, drei-rädrige E-Scooter, von der Beförderung ausgeschlossen. Im Interesse der Rechtssicherheit sowie in der Erwartung, dass sich der Markt entsprechend der neuen Vorgaben anpassen wird und zukünftig mehr E-Scooter beförderungsfähig sein werden, erscheinen dem DBR die Kompromiss-Regelungen dennoch vertretbar.
Zwingend erforderlich ist jedoch eine Revisionsklausel, mit der die vorliegenden Normen spätestens nach 4 Jahren überprüft und die Kriterien ggf.veränderten Erkenntnissen und dem technischem Fortschritt angepasst werden.
Zudem fordert der DBR ein begleitendes Monitoring, um den sich verändernden E-Scooter-Markt mit dem Ziel zu beobachten, dass künftig ein wachsender Anteil von E-Scootern die Kriterien zur Mitnahme in Linienbussen des ÖPNV erfüllt.
Zu 2. Anforderungen an die Linienbusse des ÖPNV
Die getroffenen Festlegungen entsprechen den Vereinbarungen des Runden Tisches und werden insoweit mitgetragen.
Der DBR weist jedoch darauf hin, dass derzeit unklar ist, wie groß derzeit die Zahl und der Anteil der Linienbusse ist, die den Kriterien entsprechen. Hier sind im vorgeschlagenen Monitoring die Zahlen zu Ist-Zustand und künftigen Entwicklungen unbedingt zu erheben.
Überdies sind die Aufgabenträger zu verpflichten, ab dem Zeitpunkt des Inkrafttretens der Erlass-Vorschriften bei Neuanschaffungen ausschließlich solche Linienbusse zu bestellen, die den im Erlass benannten Kriterien genügen. Eine Nachrüstung der im Betrieb befindlichen Linienbusse ist, soweit dies technisch möglich ist, vorzunehmen. Auch dies sollte im Monitoring-Prozess transparent werden; eine entsprechende Berichtspflicht der Aufgabenträger wird befürwortet.
Zu 3. Voraussetzungen für die Nutzerinnen und Nutzer des E-Scooters
Die Festlegungen entsprechen den Ergebnissen des Runden Tisches. Diese werden, auch wenn sie eine Einschränkung des Personenkreises bedeuten können, seitens des DBR mitgetragen.
Zu 4. Empfehlungen
Die Inhalte entsprechen den Festlegungen des Runden Tisches. Der DBR begrüßt ganz ausdrücklich den gewählten Weg, hier anstelle verbindlicher Vorgaben den Weg der Empfehlungen zugehen und bezieht dies sowohl auf das E-Scooter-Siegel als auch auf die Schulungen für die Nutzer.
Die von den Verkehrsunternehmen und –verbünden angebotenen Schulungsveranstaltungen sind ein wichtiges Angebot, um für Menschen mit Behinderungen Mobilität zu sichern. Diese Angebote sollten, unter Beteiligung der Behindertenverbände, fortgeführt und auch E-Scooter mit aufgenommen werden.
Weitergehende Forderungen und Abschließende Bemerkungen
Die Frage, welche E-Scooter in Linienbussen des ÖPNV mitgenommen werden, ist eng mit der Frage der Verordnungsfähigkeit von E-Scootern als Hilfsmittel durch Krankenkassen oder andere Sozialleistungs- bzw. Rehaträger verknüpft. Es muss unbedingt sichergestellt sein, dass mitnahmefähige E-Scooter von den Krankenkassen oder anderen Sozialleistungsträgern auch verordnet und finanziert werden können. Die Mobilitätsbedürfnisse der Betroffenen dürfen nicht durch eine restriktive, einseitig auf Kostensenkung abzielende Bewilligungspraxis der Kassen und anderer Sozialleistungsträger unterlaufen werden. Insoweit sollte deren Bewilligungspraxis im Bereich E-Scooter beobachtet und in das vorgeschlagene Monitoring-Verfahren einbezogen werden.
Zugleich müssen, im Interesse aller mobilitätseingeschränkter Menschen mit Behinderungen, die infrastrukturellen Anforderungen verbessert und mit den Gegebenheiten der Linienbusse abgestimmt werden. Ziel muss sein, über die Bus-Bahnsteige einen ebenengleichen Zu- und Ausstieg in den Linienbus zu ermöglichen. Hier sind die Aufgabenträger in der Pflicht, sich mit den Kommunen abzustimmen und Lösungen vor Ort zu entwickeln. Die im Erlass vorgesehene Steigfähigkeit von 12 Prozent für E-Scooter lehnt der DBR grundsätzlich ab, sieht sie aber aufgrund der jetzigen Sachlage als akzeptable, befristete Übergangslö-sung, um die in den DIN-Normen festgelegten, maximalen 6 Prozent zu erreichen.
Die Notwendigkeit eines begleitenden Monitorings betont der DBR nochmals. Dabei muss nicht nur der sich verändernde Markt von E-Scootern beobachtet und bewertet werden, inwieweit der Anteil mitnahmefähiger E-Scooter steigt. Zugleich sollte der Bereich der Busse in das Monitoring aufgenommen werden (Zahl und Anteil der aktuell E-Scooter mitnehmenden Linienbusse, Entwicklung durch Neuanschaffungen). Auch die Bewilligungspraxis der Krankenkassen und anderer Sozialleistungsträger sowie die Weiterentwicklung der Infrastruktur sollte beobachtend einbezogen werden.
Für die DBR-Verbände bleibt die Frage offen, warum vorliegend der Weg des Erlasses gewählt wurde. Zwar sichert dieser ein zügiges Inkraftsetzen der Regelungen, jedoch fehlt es ihnen an bindender Außenwirkung im Interesse der betroffenen Menschen mit Behinderungen. Hierfür könnte ggf. das Instrument der Rechtsverordnung ein gangbarer Weg sein.
Abschließend anerkennt und würdigt der DBR nochmals den politischen Willen, eine bundesweit einheitliche Regelung zur Mitnahme von E-Scootern in Linienbussen des ÖPNV zu schaffen. Dies verhindert generelle Beförderungsausschlüsse für E-Scooter und schafft Rechtssicherheit für Menschen mit Behinderungen, aber auch Busfahrer und andere Beteiligte.
Gleichwohl bleiben die Inhalte des Erlasses ein Kompromiss, der aus Sicht der Behindertenverbände noch Potenzial für Verbesserungen hat. Daher betont der DBR abschließend nochmals die Notwendigkeit einer Revisionsklausel, mit der die vorliegenden Normen spätestens nach vier Jahren zwingend überprüft und das Recht ggf. veränderten Erkenntnissen anpasst werden.