Bericht zur Veranstaltung "Neuer Schwung für die UN-BRK in Deutschland: Wie weiter nach der zweiten Staatenprüfung?"
1.3.2024
"Neuer Schwung für die UN-BRK in Deutschland: Wie weiter nach der zweiten Staatenprüfung?" - Unter diesem Motto fand am 27. Februar 2024 eine gelungene Veranstaltung des Beauftragten der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen, Jürgen Dusel, und des Deutschen Instituts für Menschenrechte im bcc Berlin statt.
DBR-Sprecherratsvorsitzende Verena Bentele (ganz rechts im Bild) diskutierte mit auf dem Podium und richtete die Forderungen des Deutschen Behindertenrats direkt an die Politik.
Die Gäste der Moderierten Gesprächsrunde „Deinstitutionalisierung“ zu den Ergebnissen aus den Foren Arbeit, Bildung, Barrierefreiheit, Wohnen von links nach rechts: Moderatorin Ninia LaGrande; Dr. Rolf Schmachtenberg, Staatssekretär im Bundesministerium für Arbeit und Soziales; Frank Stefan, Fachverbände für Menschen mit Behinderung und Vorsitzender des Bundesverband evangelische Behindertenhilfe e. V.; Olivia Trager, Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände; Dr. Torsten Kühne, Kultusministerkonferenz, Staatssekretär in der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie Berlin; Verena Bentele, DBR-Sprecherratsvorsitzende und Präsidentin Sozialverband VdK Deutschland
In zwei mal vier parallel laufenden Fach-Foren zu verschiedenen Themen wirkten auch viele DBR-Vertreter*innen wie Christiane Möller vom Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverband DBSV, Martina Puschke von Weibernetz e.V. und andere aktiv mit. Das Programm und weitere Informationen finden Sie
hier auf der Website des Behindertenbeauftragten .
Verena Bentele als Sprecherratsvorsitzende war zu Gast in beiden moderierten Gesprächsrunden auf dem Podium und nahm zu den Ergebnissen aus den Foren und zu verschiedenen Fragen Stellung. Sie richtete die Forderungen des Deutschen Behindertenrats an die Politik.
So forderte sie eine Nachsteuerung beim Bundesteilhabegesetz (BTHG) und machte auf die immer noch bestehenden Umsetzungsdefizite in den in den Ländern aufmerksam. Beispielsweise würden zum Teil intransparente Pauschalen für Verpflegungs- und Hauswirtschaftskosten oder Anteile für Wohnkosten von den Bewohner*innen der stationären Entrichtungen erhoben, die dazu führten, dass diese sogar weniger Geld zur Verfügung hätten als vor der Reform.
Eine Deinstitutionalisierung könne aber nur vorangebracht werden, wenn es genug barrierefreien und bezahlbaren Wohnraum gäbe. Jeder Mensch habe das Recht, selbst zu entscheiden, wo und wie er leben möchte. Diese Vorgabe der UN-BRK sei in Deutschland nicht im Ansatz erfüllt. Es müsse deutlich mehr bezahlbarer Wohnraum für Menschen mit Behinderungen geschaffen werden.
Auch beim Thema inklusive Bildung dürfe sich der Bund nicht länger mit Zuständigkeit der Länder heraus rausreden. Bund und Länder seien mit der Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention eine Verpflichtung eingegangen, die erfüllt werden müsse.
Verena Bentele, Vorsitzende des DBR-Sprecherrats, und Jürgen Dusel, Beauftragter der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen
Verena Bentele erneuerte die Forderung des DBR, verbindliche Partizipationsstandards einzuführen. Eine Beteiligung der Verbände von Menschen mit Behinderungen müsse stets barrierefrei sein. Das beträfe Dokumente, Sitzungsräume, die digitale Barrierefreiheit, ausreichend lange Fristen für Stellungnahmen, die Bereitstellung von Gebärdensprach- und Schriftdolmetscher*innen sowie die Dolmetschung in leichte Sprache sowie andere angemessene Vorkehrungen, wenn diese im Einzelfall erforderlich seien. Das DBR-Forderungspapier zur Entwicklung verbindlicher Partizipationsstandards zur Beteiligung von Behindertenverbänden im Gesetzgebungsverfahren von 2022 findet man hier:
DBR-Forderungspapier zur Entwicklung verbindlicher Partizipationsstandards zur Beteiligung von Behindertenverbänden im Gesetzgebungsverfahren .
Zum Thema Betreuungsrecht merkte sie an, dass 15 Prozent Prozent der angeordneten rechtlichen Betreuungen vermieden werden könnten, wenn das mit der letzten Reform eingeführte Instrument der sogenannten "Erweiterten Unterstützung" bundesweit und flächendeckend genutzt werde. Darunter ist ein temporäres Fall-Management zu verstehen, welches, die erforderlichen Hilfsangebote organisiert und auslotet, ob sich auf diesem Wege eine rechtliche Betreuung vermeiden lässt. Das deutsche Sozialleistungssystem sei komplex und unübersichtlich und überforderte viele Menschen. Die "Erweiterte Unterstützung" werde von den Länder nur modellhaft und in unterschiedlicher Größenordnung genutzt.
Ein erster Schritt, das gegliederte System der Rehabilitation zu überwinden, sei der "gemeinsame Grundantrag der Rehabilitationsträger für Reha- und Teilhabeleistungen", welcher derzeit auf der Ebene der Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation (BAR) entwickelt und erprobt werde.
Die Gäste der Gesprächsrunde „Persönlichkeitsrechte und Umsetzung“ zu den Ergebnissen aus den Foren Verhinderung von Zwang, Betreuungsrecht, Gewaltschutz, Partizipation und Umsetzungsstrukturen, von links nach rechts:
Moderatorin Ninia LaGrande; Dr. Annette Tabbara, Abteilungsleiterin im Bundesministerium für Arbeit und Soziales; Andreas Schulze, Abteilungsleiter im Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend; Prof. Dr. Theresia Degener, Professorin für Recht und Disability Studies, Evangelische Hochschule Rheinland-Westfalen-Lippe, Bochum und ehemalige Vorsitzende des UN-BRK-Ausschusses; Ruth Schröder, Abteilungsleiterin im Bundesministerium der Justiz; Verena Bentele, Sprecherratsvorsitzende des Deutschen Behindertenrats und Präsidentin des Sozialverband VdK Deutschland
Als Beispiel für einen gelungenen Beteiligungsprozess nannte sie die Betreuungsrechtsreform des Bundesjustizministeriums in der vergangen Legislaturperiode. Es sei gut und gründlich vorbereitet gewesen, die DBR-Vertreter*innen hätten ausreichend Zeit zur Vorbereitung, Absprachen und Stellungnahmen bekommen und konnten viele Verbesserungen für Menschen mit Behinderungen in das neue Betreuungsrecht einbringen. Sie mahnte die dringend notwendige Reform des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes an.
Seit vielen Jahren setzt sich der Deutsche Behindertenrat für die Verpflichtung privater Anbieter von Gütern und Dienstleistungen zur Barrierefreiheit ein. Mindestens aber muss die Verpflichtung zu angemessenen Vorkehrungen im Einzelfall auch für Private Anbieter gelten und die Versagung dieser angemessenen Vorkehrung als Diskriminiierungstatbestand ins AGG. Das Lob für den gelungenen Beteiligungsprozess beim Betreuungsrecht verband Verena Bentele mit der Aufforderung an die Vertreterin des Bundesjustizministeriums, die DBR-Verbände jetzt ebenso an der Reform des AGG zu beteiligen und die Verbände aktiv einzubeziehen.