Die Forderungen des DBR zum Welttag der Menschen mit Behinderungen

anlässlich der Veranstaltung des DBR "Große Koalition - eine Chance für Menschen mit Behinderungen?"

3. Dezember 2005

Pressestatement von Brigitte Pathe, Mitglied des Sprecherrates im DBR

-Es gilt das gesprochene Wort-

Der Deutsche Behindertenrat (DBR) verfolgt mit Sorge die Entwicklung im Bereich der beruflichen Integration behinderter Menschen. Aufgrund der äußerst schwierigen Bedingungen des Arbeitsmarktes und des wachsenden Verdrängungswettbewerbs um die Ausbildungs- und Arbeitsplätze sind behinderte (junge) Menschen vorrangig von Arbeitslosigkeit bedroht bzw. betroffen.

Seit 2002 ist die Zahl der arbeitslosen schwerbehinderten Menschen nahezu permanent gestiegen. Im November 2005 waren 187.092 schwerbehinderte Menschen arbeitslos.

Der DBR muss weiterhin feststellen, dass die Bereitschaft der Unternehmen und Betriebe, behinderte junge Menschen auszubilden, dramatisch zurückgegangen ist. Wurden 1994 noch 17.397 behinderte junge Menschen betrieblich ausgebildet, so nahm diese Zahl in den Folgejahren ständig ab und betrug im Jahr 2002 nur noch 9.000. In ihrem Bericht über die Lage behinderter Menschen und die Entwicklung ihrer Teilhabe vom Dezember 2004 hat die Bundesregierung bedauert, dass von den 2,1 Millionen Betrieben in Deutschland nur noch 23 Prozent junge Menschen mit und ohne Behinderung ausbilden.

Die zur Beschäftigung schwerbehinderter Menschen verpflichteten Arbeitgeber mit wenigstens 20 Arbeitsplätzen im Jahr 2002 verfügten über rund 1,1 Mio. betriebliche Ausbildungsplätze. Lediglich 4729 dieser betrieblichen Ausbildungsplätze wurden mit schwerbehinderten jungen Menschen besetzt. Das sind nur rund 0,4 Prozent der vorhandenen Plätze.

Die Arbeitsgemeinschaft Deutscher Berufsförderungswerke und die Bundesarbeitsgemeinschaft der Berufsbildungswerke haben in eindrucksvollen schriftlichen Stellungnahmen belegt, dass sich die immer stärker fiskalisch ausgerichtete Rehabilitationspolitik der Bundesagentur für Arbeit äußerst negativ auf behinderte Menschen und die bewährten Einrichtungen der Rehabilitation auswirkt. Auch in den Medien - ich verweise hier auf die Sendung REPORT MAINZ vom 8. August 2005 - wurde über diese Entwicklung berichtet.

Wenn die Arbeitsgemeinschaft Deutscher Berufsförderungswerke auf einen 40-prozentigen Belegungsrückgang in den Werken hinweist und die Entlassung von 1700 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bis 2006 prognostiziert, so kann dies nicht hingenommen werden. Die Berufsbildungswerke, die für die Erstausbildung junger behinderter Menschen zuständig sind, beklagen ebenfalls bundesweit eine massive Buchungszurückhaltung durch die Agenturen für Arbeit.

Auch die Bundesarbeitsgemeinschaft der Integrationsfirmen (BAGI) hat mitgeteilt, dass die zögerliche und restriktive Bewilligungspraxis der Arbeitsagenturen verhindert, dass neue Arbeitsplätze für behinderte Menschen entstehen. Die BAGI beklagt insbesondere eine massive Kürzung der Eingliederungszuschüsse für behinderte Menschen.

Diese Gesamtentwicklung läuft der Zielsetzung des Sozialgesetzbuchs REHABILITATION UND TEILHABE BEHINDERTER MENSCHEN (SGB IX) zuwider, die umfassende berufliche und gesellschaftliche Teilhabe behinderter Menschen sicherzustellen. Sie steht auch im Gegensatz zur neuen Initiative der Bundesregierung "Job - Jobs ohne Barrieren", die der DBR nachdrücklich befürwortet und unterstützt.

Vor diesem Hintergrund fordert der DBR eine Trendwende in der beruflichen Rehabilitation behinderter Menschen und ein klares Bekenntnis der Bundesregierung, des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales und der Bundesagentur für Arbeit für eine umfassende und qualifizierte berufliche Ausbildung und Integration behinderter (junger) Menschen.

Darüber hinaus appelliert der DBR eindringlich an alle privaten und öffentlichen Arbeitgeber, ihre gesellschaftliche Verpflichtung zur Ausbildung und Beschäftigung (junger) behinderter und schwerbehinderter Menschen zu erfüllen. Der DBR fordert die Arbeitgeber zugleich auf, sich für ein betriebliches Rehabilitationsmanagement einzusetzen, um für Menschen mit gesundheitlichen Einschränkungen und Behinderungen den Arbeitsplatz zu erhalten.

Gerade behinderte Menschen benötigen eine qualifizierte Ausbildung und die dauerhafte berufliche Eingliederung ist für sie mehr als nur existenzielle Sicherung. Der DBR weist nochmals darauf hin, dass behinderte Menschen motiviert, leistungsbereit und belastbar sind. Der DBR fordert insoweit die Arbeitgeber auf, ihre Einstellung zu behinderten Menschen zu überprüfen und noch weitgehend bestehende Vorurteile aufzugeben.

Der DBR fordert insbesondere von der Bundesagentur für Arbeit, dass diese ihre gesetzliche Verpflichtung zur beruflichen Rehabilitation und Vermittlung behinderter Menschen umfassend erfüllt. Keinesfalls darf sich die Bundesagentur aus ihrer Strukturverantwortung und ihrem Vermittlungsauftrag gerade für schwer- und schwerstbehinderte Menschen zurückziehen oder notwendige Rehabilitationsmaßnahmen allein aus finanziellen Gründen ablehnen bzw. verzögern.

Der DBR fordert alle Beteiligten und hier insbesondere die Rehabilitationsträger auf, die mit dem SGB IX geschaffenen Instrumente offensiv für die berufliche Eingliederung behinderter Menschen zu nutzen. Dies gilt in besonderer Weise für die bundesweit eingerichteten Integrationsfachdienste (IFD), die für eine bestmögliche Umsetzung ihres weitreichenden Vermittlungs- und Betreuungsauftrages Planungssicherheit benötigen.

Anspruch und Wirklichkeit in der Politik für behinderte Menschen dürfen nicht auseinanderklaffen. Für eine selbstbestimmte Teilhabe und Chancengleichheit behinderter Menschen ist ihre dauerhafte berufliche Integration eine wichtige Voraussetzung.

Im Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD wurde festgehalten, dass die berufliche Integration von Menschen mit Behinderung intensiviert werden soll.

Unsere Forderungen an die Große Koalition bezüglich der beruflichen Rehabilitation lauten:

1. Nach dem Koalitionsvertrag ist beabsichtigt, den Beitrag zur Arbeitslosenversicherung von 6,5 auf 4,5 Prozent zu senken und den Bundeszuschuss zur Bundesagentur für Arbeit völlig zu streichen. Die zu erwartenden erheblichen Mindereinnahmen sollen u. a. durch Effizienzsteigerungen ausgeglichen werden.

Unsere Befürchtungen, dass sich dies zu Lasten der Leistungen der beruflichen Teilhabe auswirkt, dürfen sich nicht bewahrheiten.

2. Die von der Großen Koalition angekündigten verstärkten arbeitsmarktpolitischen Anstrengungen müssen insbesondere auch darauf ausgerichtet sein, Ausbildungs- und Arbeitsplätze für behinderte Menschen zu schaffen bzw. zu erhalten. Der DBR befürwortet nachdrücklich die Initiative "Job - jobs ohne Barrieren", die dazu beitragen muss, mehr Arbeitgeber als bisher für die Ausbildung und Beschäftigung behinderter Menschen zu gewinnen.

3. An dem wichtigen Ziel, allen behinderten Menschen eine möglichst qualifizierte Ausbildung in einem zukunftsorientierten Beruf zu sichern, muss festgehalten werden. Eine qualitativ hochwertige Berufsausbildung ist die beste Voraussetzung für eine nachhaltige berufliche und damit auch gesellschaftliche Teilhabe.

4. Die Berufsbildungswerke und Berufsförderungswerke erfüllen mit ihrem Bildungsauftrag eine wichtige solidarische Aufgabe. Sie benötigen Planungssicherheit für eine am Bedarf ausgerichtete Belegung.

5. Der DBR fordert eine stärkere Umsetzung der neuen Instrumente des SGB IX (Rehabilitation). Dies gilt insbesondere für den Aufbau eines betrieblichen Gesundheits- und Eingliederungsmanagements sowie für den effektiven Einsatz der Integrationsfachdienste.

6. Die Bundesregierung wird aufgefordert, die besonderen Belange behinderter Frauen und Mädchen zu berücksichtigen (zum Beispiel: wohnortnahe Rehabilitation, Angebote der Teilzeitausbildung). Dies gilt besonders für Frauen mit Familienpflichten.

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