Rede von Hannelore Loskill zum Welttag der Menschen mit Behinderungen

anlässlich der Veranstaltung des DBR "Große Koalition - eine Chance für Menschen mit Behinderungen?"

3. Dezember 2005

Hannelore Loskill, Vorsitzende des Sprecherrats des DBR

-Es gilt das gesprochene Wort-


Sehr geehrte Damen und Herren,

"die Entscheidungen sind getroffen", "die Würfel sind gefallen", "die Weichen sind gestellt"...wann immer man diese Redewendungen in der letzten Zeit gehört hat, bedeuteten sie nur eins: Die Große Koalition hat ihre Arbeit aufgenommen.


Hannelore Loskill während Rede am Rednerpult
Hannelore Loskill, Vorsitzende des Sprecherrats des DBR, 2005
bei ihrer Rede anlässlich der Veranstaltung des DBR "Große Koalition - eine Chance für Menschen mit Behinderungen?" am 3.12.2005
Welche Konsequenzen wird dies für uns - für die im Deutschen Behindertenrat zusammenarbeitenden Verbände - haben? Vor allem für die bei uns organisierten und von uns vertretenen Menschen?

Ein kurzer Rückblick:
Zu Beginn des Jahres hatte sich der Arbeitsauschuss des DBR dahingehend verständigt, im Hinblick auf die bevorstehende Bundestagswahl - damals war der Termin noch Herbst 2006 - eine Kampagne zum Erhalt des Sozialstaates zu erarbeiten. Doch mitten in die Vorarbeiten platzte die vorgezogene Neuwahl. Alle Kernprobleme, die wir inzwischen identifiziert hatten, wurden als Forderungskatalog aufbereitet und an die gesundheits- und behindertenpolitisch relevanten Personen und Organisationen geschickt. Die nach und nach eintreffenden Antworten waren mehr oder weniger umfangreich und ausführlich und mehr oder weniger aussagekräftig, einige auch sehr different. Die zusammenfassenden Ergebnisse wurden vom Sprecherrat in der Bundespressekonferenz vorgestellt.

Doch der Forderungskatalog bleibt nach wie vor bestehen. An ihm werden wir den inzwischen veröffentlichten Koalitionsvertrag messen. Gibt er Antworten auf unsere Fragen? Werden die besonderen Bedürfnisse der behinderten und chronisch kranken Menschen berücksichtigt? Das Ergebnis darf ich Ihnen heute an einigen Beispielen aus den Schwerpunktforderungen zur Gesellschafts- und Sozialpolitik vorstellen.

Soviel vorab:
Auch wenn die Begriffe "behindert" und "Behinderung" in dem gesamten Werk ca. 16-mal auftauchen, von grundlegender Bedeutung sind sie insbesondere in Teil IV "Soziale Sicherheit verlässlich und gerecht gestalten" und seinem Abschnitt 5 "Gesellschaftliche Teilhabe von Menschen mit Behinderungen".


Zu einigen Schwerpunktforderungen des DBR zur Gesellschafts- und Sozialpolitik

  • Das Lebensrecht behinderter und chronisch kranker Menschen ist unantastbar. Die Würde des Menschen erfordert die verantwortliche Begrenzung und Selbstbegrenzung in Forschung und Praxis der Biomedizin. Der DBR lehnt jegliche Art des Klonens ab. Der DBR fordert eindeutige gesetzliche Verbote zum Schutz werdenden Lebens.

Dazu sagt der Koalitionsvertrag: Genetische Untersuchungen bei Menschen werden in den Bereichen gesetzlich geregelt, die angesichts der Erkenntnismöglichkeiten der Humangenetik einen besonderen Schutzstandard erfordern, um die Persönlichkeitsrechte der Bürgerinnen und Bürger zu schützen. Durch diese gesetzliche Regelung soll zugleich die Qualität der genetischen Diagnostik gewährleistet werden. Diese Aussagen sind inhaltlich zu unbestimmt. Wir werden also weiter wachsam sein müssen.

  • Die berufliche Rehabilitation und Integration ist für behinderte Menschen von herausragender Bedeutung: Es besteht akuter Handlungsbedarf, denn aufgrund der äußerst schwierigen Arbeitsmarktlage sind behinderte Menschen zunehmend von Arbeitslosigkeit betroffen. Die Arbeitgeber müssen ihrer gesellschaftlichen Verantwortung nachkommen und behinderte Menschen in ihren Betrieben ausbilden und beschäftigen. Flankierend dazu müssen zusätzlich Maßnahmen der beruflichen Teilhabe in den bewährten Einrichtungen der beruflichen Rehabilitation - an dieser Stelle sind die Berufsbildungs- und Berufsförderungswerke zu nennen - gefördert werden. Der DBR fordert von den Bundesministerien und insbesondere von der Bundesagentur für Arbeit, dass diese endlich die gesetzliche Verpflichtung in der beruflichen Rehabilitation und Vermittlung behinderter Menschen umfassend erfüllt. Keinesfalls darf sich die Bundesagentur aus ihrer Strukturverantwortung und ihrem Vermittlungsauftrag gerade für schwer- und schwerstbehinderte Menschen zurückziehen. Notwendige Rehabilitationsmaßnahmen dürfen nicht aus finanziellen Gründen abgelehnt bzw. verzögert werden.

Der Koalitionsvertrag befasst sich auf etlichen Seiten mit den Themen Wirtschaft und Arbeit, ohne dabei sehr konkret auf die Situation von Menschen mit Behinderung einzugehen. Immerhin finden sich Sätze wie: "Die Vermittlung und Qualifizierung junger Menschen, die eine Arbeit oder Lehrstelle suchen, wird auch in Zukunft eine zentrale Aufgabe...der Bundesagentur für Arbeit darstellen. Hierzu zählen vor allem die Förderung junger Menschen beim Einstieg in die Berufsausbildung, ausbildungsbegleitende Hilfen, die Finanzierung der Berufsausbildung Benachteiligter sowie spezifische Hilfen für junge Menschen mit Behinderungen. Daneben stellen wir ein breites Spektrum vermittlungsunterstützender Leistungen für arbeitslose junge Menschen zur Verfügung" sowie "Die Bundesregierung soll mit der Bundesagentur für Arbeit eine Zielvereinbarung abschließen, um zu gewährleisten, dass diese ihren arbeitsmarktpolitischen Auftrag der Arbeitsförderung umsetzt."

Dies lässt immerhin hoffen.
Die gegenwärtigen "Instrumente", wie zum Beispiel der Vermittlungsscheck, sollten überprüft werden. Die Leistungen privater Arbeitsvermittler ausschließlich an Langzeitarbeitslosigkeit statt an verfügbaren Arbeitsplätzen zu orientieren, erscheint nicht zielführend. Dem dramatischen Rückgang der Maßnahmen der beruflichen Eingliederung muss dringend Einhalt geboten werden. Soweit Kommunen optiert haben und auf örtlicher Ebene Arbeitsgemeinschaften gebildet wurden, muss die Stellung als Rehabilitationsträger gesetzlich klargestellt werden.

Im Koalitionsvertrag heißt es weiter: "Wir wollen, dass die Leistungen zur Teilhabe an Gesellschaft und Arbeitsleben zeitnah und umfassend erbracht werden. Hierzu bedarf es der effektiven Zusammenarbeit der Sozialleistungsträger."

Der DBR befürwortet die mit dem SGB IX formulierten gesetzgeberischen Ziele. Seine neuen Instrumente werden in weiten Bereichen aber nicht umgesetzt; Appelle an die Rehabilitationsträger haben in der Vergangenheit nicht gefruchtet. Aus Sicht des DBR sind deshalb gesetzliche Änderungen notwendig: Die Servicestellen, die ja gemeinsam von den Reha-Trägern zu errichten und zu betreiben sind, müssen mit Entscheidungskompetenz ausgestattet werden. Die Behindertenverbände sind auf Wunsch des/der Betroffenen am Reha-Verfahren obligatorisch zu beteiligen. Auch die Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation muss zu einer wirksamen und entscheidungsfähigen Institution unter Beteiligung der Behindertenverbände weiter entwickelt werden.

  • Rehabilitations- und Gesundheitspolitik sind nicht trennbar. Das GKV-Modernisierungsgesetz belastet behinderte und chronisch kranke Menschen und verstärkt Entsolidarisierungstendenzen. Der DBR fordert den Erhalt der solidarischen sozialen Krankenversicherung und deren Ausbau auf der Grundlage eines einheitlichen umfassenden Leistungskatalogs. Der DBR fordert Reformmaßnahmen in der GKV, die dem Ziel dienen, die Qualität der Gesundheitsversorgung zu verbessern und Defizite zu beseitigen. Prävention und Patientenorientiertheit müssen Schwerpunkte einer künftigen Reformpolitik sein. Der DBR unterstützt die Erschließung von Wirtschaftlichkeitsreserven, wendet sich aber mit aller Entschiedenheit gegen die Rationierung notwendiger Leistungen. Einseitige Belastungen der Patientinnen und Patienten und Versicherten haben sich als untauglich erwiesen und sind auch aus grundsätzlichen sozialpolitischen Erwägungen zurückzunehmen. Positiv zu bewerten ist aus Sicht des DBR, dass sich die Regierungsparteien im Koalitionsvertrag ausdrücklich zu einer qualitativ hoch stehenden Versorgung für die Patientinnen und Patienten bekennen. Zu kurz kommt freilich das ebenso wichtige Bekenntnis zur solidarischen und paritätischen Finanzierung des Gesundheitswesens.
  • Ebenfalls positiv zu bewerten sind die Ausführungen zu Prävention, Gesundheitsvorsorge und Rehabilitation im Koalitionsvertrag.

Dort ist zu lesen: Die Prävention wird zu einer eigenständigen Säule der gesundheitlichen Versorgung ausgebaut. Mit einem Präventionsgesetz soll die Qualität der Maßnahmen der Sozialversicherungsträger und - zweige übergreifend und unbürokratisch verbessert werden.
Vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung ist ein Gesamtkonzept der Betreuung und Versorgung pflegebedürftiger, behinderter und alter Menschen notwendig. Leistungen müssen darauf ausgerichtet sein, Behinderungen, chronischen Erkrankungen und Pflegebedürftigkeit entgegen zu wirken. Der medizinischen Rehabilitation kommt hier eine besondere Bedeutung zu. Deshalb muss insbesondere der Grundsatz "Prävention und Rehabilitation vor Pflege" gestärkt werden. Pflegebedürftigkeit darf nicht dazu führen, dass erforderliche Leistungen zur medizinischen Rehabilitation und Teilhabe nicht erbracht werden.


Es ist zu hoffen, dass das Präventionsgesetz mit dieser Zielsetzung überarbeitet und rasch erneut vorgelegt wird, wobei die bisherige Fixierung auf die Primärprävention überwunden werden muss. Auch die Patientenorientierung ist aus Sicht des DBR im Präventionsgesetz viel stärker zu verankern.

Hier geben die Formulierungen im Koalitionsvertrag zu den Patientenrechten ein ermutigendes Signal.

Dort ist nämlich Folgendes festgehalten: Den begonnenen Weg zu einer stärkeren Patientenpartizipation setzen wir mit dem Ziel fort, die Informations- und Beteiligungsrechte der Patientinnen und Patienten auszubauen und die Transparenz zu erhöhen. Die Rechtssicherheit von Patientenverfügungen wird gestärkt.

Aus Sicht des DBR ist die Stärkung der Patientenpartizipation auch und gerade im Hinblick auf die Patientenbeteiligung beim Gemeinsamen Bundesausschuss und auf Landesebene weiter voranzutreiben. Die Aufwandsentschädigung für Patientenvertreter und die Stärkung der finanziellen Ressourcen der DBR-Verbände sind hier essentielle Voraussetzungen, um dann auch die Patientenbeteiligung im Sinne einer echten Mitbestimmung weiterzuentwickeln.

Folgende Punkte des Koalitionsvertrages sind in gesundheitspolitischer Hinsicht ebenfalls zu befürworten: In der integrierten Versorgung soll die Anschubfinanzierung über das Jahr 2006 hinaus bis zum 1. Januar 2008 verlängert werden. Den alters- und geschlechtsspezifischen Besonderheiten muss die Gesundheitsversorgung stärker Rechnung tragen.

Die Arbeiten an der Einführung der elektronischen Gesundheitskarte werden zielgerichtet fortgeführt. Der Missbrauch der Versichertenkarte muss konsequent bekämpft werden.

  • Zur umfassenden gesellschaftlichen Integration fordert der DBR ein Bundesleistungsgesetz, das die Teilhabe behinderter Menschen am gesellschaftlichen Leben sichert und umfassende Assistenz ermöglicht. Mit diesem Gesetz müssen die geltenden Regelungen des SGB XII, insbesondere zur Eingliederungshilfe, und der Pflegeversicherung zu einem bedarfsdeckenden Leistungsnetz fortentwickelt werden, das dem Prinzip des Nachteilsausgleichs folgt und der individuellen Lebenssituation behinderter und chronisch kranker Menschen gerecht wird. Die Menschen müssen Subjekte und aktive Mitgestalter des Leistungsgeschehens sein.

Hierzu im Koalitionsvertrag: Wir werden den in der Politik für behinderte Menschen eingeleiteten Prozess zur Verwirklichung einer umfassenden Teilhabe in der Gesellschaft fortsetzen. Die Unterstützung von Selbstständigkeit, Selbsthilfe und Selbstbestimmung ist eine gesellschaftliche Aufgabe. Gemeinsam mit den Ländern, Kommunen und den Verbänden behinderter Menschen werden wir die Leistungsstrukturen der Eingliederungshilfe so weiterentwickeln, dass auch künftig ein effizientes und leistungsfähiges System zur Verfügung steht. Dabei haben der Grundsatz "ambulant vor stationär", die Verzahnung ambulanter und stationärer Dienste, Leistungserbringung "aus einer Hand" sowie die Umsetzung der Einführung des Persönlichen Budgets einen zentralen Stellenwert.

Auch hier zeigt sich, dass die Ausführungen ergänzungs- und auslegungsbedürftig sind.


  • Zum Grundsatz von "ambulant vor stationär " ist anzumerken:

In der Vergangenheit wurden Menschen mit Behinderungen oft in Großeinrichtungen untergebracht. Die Einrichtungen lagen häufig weit außerhalb, so dass die Bewohner kaum Kontakt zur Außenwelt hatten. Diese Politik ist in den letzten Jahrzehnten zunehmend in Frage gestellt worden. Um behinderten Menschen die Möglichkeit zu geben, ihre individuelle Lebens- und Wohnsituation selbst zu bestimmen, aber auch aus Kostengründen wurde in den verschiedensten Leistungsgesetzen der Vorrang ambulanter vor stationären Hilfen verankert. Mit einer Wohnung innerhalb des städtischen Gefüges und unterstützt durch gemeindenahe Dienste bleiben die Betroffenen in ihrem sozialen Umfeld und es wachsen die Anreize, für ein gleichberechtigtes Zusammenleben und zu einem selbstverständlichen gesellschaftlichen Miteinander.

Ambulante Angebote können beispielsweise betreutes Wohnen, Leben mit persönlicher Assistenz oder wohnortnahe ambulante Rehabilitationsdienste sein. Der Deutsche Behindertenrat begrüßt ausdrücklich den weiteren Auf- und Ausbau flächendeckender Angebotsstrukturen im ambulanten Bereich. Die Rehabilitationsträger müssen dabei ihrem gesetzlichen Auftrag nach Sicherstellung eines ausreichenden Angebots von Rehabilitationsangeboten nachkommen. Dabei sind die Übergänge zwischen ambulanten, teilstationären und stationären Angeboten zu verbessern. Dies ist nicht nur im Sinne der behinderten Menschen, sondern spart in der Regel auch Geld, denn ambulante Angebote sind meist kostengünstiger als stationäre Angebote. Das bedeutet nicht, dass ambulante Angebote im Einzelfall nicht auch teurer sein können. Doch wer die Teilhabe behinderter Menschen am gesellschaftlichen Leben ernst nimmt, muss auch in diesen Fällen das Wunsch- und Wahlrecht der Betroffenen akzeptieren und respektieren.

Aus Sicht des Deutschen Behindertenrates müssen folgende Grundsätze den Prozess leiten:

  • Ambulante Angebote sind zu bevorzugen, wenn die Leistungen nach Prüfung des Einzelfalls mit gleicher Qualität erbracht werden wie stationäre Leistungen. Es kann allerdings auch nicht sein, dass stationäre Maßnahmen abgelehnt werden, ohne dass qualitativ gleichwertige ambulante Angebote zur Verfügung stehen.
  • Das Wunsch- und Wahlrecht der Betroffenen ist mit hoher Priorität zu berücksichtigen
  • Die Behindertenverbände sind beim Aus- und Aufbau neuer Versorgungsstrukturen zu beteiligen.
  • Der Koalitionsvertrag sagt im Kapitel über die Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen, dass der Aktionsplan zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen fortgeschrieben, das Gewaltschutzgesetz evaluiert und gegebenenfalls novelliert wird.

Damit verbinden wir die Erwartung, dass sich dann auch die Forderung des DBR nach wirksamen Maßnahmen zum Schutz vor sexualisierter Gewalt gegen Mädchen und Frauen mit Behinderung und chronischer Erkrankung erfüllt.

  • Viele behinderte und chronisch kranke Menschen engagieren sich ehrenamtlich oder nehmen auch ehrenamtliche Hilfe in Anspruch. Der DBR fordert, dass ehrenamtliche Tätigkeit im sozialen Bereich entsprechend der wachsenden gesellschaftlichen Bedeutung stärker gefördert und unterstützt wird. Aufwendungen, die im Zusammenhang mit ehrenamtlicher Arbeit stehen, müssen in vollem Umfang steuerlich anerkannt und berücksichtigt werden. Soweit steuerliche Absetzungsmöglichkeiten nicht oder nicht mehr bestehen, sollten alternative oder ergänzende Regelungen für einen Aufwendungsersatz zur Verfügung stehen.

Hierzu betont der Koalitionsvertrag die Bedeutung des ehrenamtlichen Engagements zum Beispiel in der sozialen Pflegeversicherung und führt allgemein aus: Ohne ein starkes ehrenamtliches Engagement der Bürgerinnen und Bürger für unser Zusammenleben kann unsere Gesellschaft nicht existieren. Deshalb werden wir weitere Maßnahmen zur Unterstützung der aktiven Bürgergesellschaft ergreifen, indem wir etwa das ehrenamtliche Engagement fördern.

Wir können also feststellen: Die Richtung stimmt, aber es fehlen die konkreten Vorschläge zur Umsetzung.


Einige Forderungen des DBR finden sich im Koalitionsvertrag nicht oder nur minimal wieder, zum Beispiel

  • Barrierefreiheit ist zum grundlegenden gesellschaftspolitischen Gestaltungsprinzip zu erklären. Die Inanspruchnahme von Grundrechten und anderen subjektiven Rechten darf für behinderte Menschen nicht durch Zugangs- oder Nutzungsbarrieren faktisch vereitelt werden.
  • Unabhängig von Erwerbstätigkeit ist ein Rechtsanspruch auf Elternassistenz zu verankern. Behinderte Mütter und Väter werden dadurch in ihrem Alltag mit Kindern unterstützt.
  • Es ist ein Antidiskriminierungsgesetzes (ADG) vorzulegen, das auch die Belange behinderter Menschen einbezieht. Das Diskriminierungsverbot unserer Verfassung. Art. 3 Grundgesetz, BGG und ADG müssen insgesamt in allen Lebensbereichen einen wirksamen Diskriminierungsschutz gewährleisten. Dies gilt insbesondere für den Schutz im Rechtsverkehr und den Zugang zu privaten Versicherungen.
  • Um Chancengleichheit und Teilhabe zu gewährleisten, sind die gesetzlich verankerten Nachteilsausgleiche für behinderte und chronisch kranke Menschen dringend erforderlich. Sie dienen dem Ausgleich behinderungsbedingter Nachteile und dürfen nicht zur Disposition stehen.

Auch die fünf grundlegenden Forderungen an die Politik zum Erhalt des Sozialstaates bleiben selbstverständlich erhalten.

1. Bekenntnis zu einem Staatswesen, das von der Solidarität der Bürgerinnen und Bürger untereinander und sozialem Denken geprägt ist;

2. Bekenntnis zu einer gemeinwohl-orientierten Wirtschaftspolitik;

3. Konzentration auf den Erhalt Deutschlands als Sozialstaats;

4. Absage an alle Bestrebungen, behinderte, alte und kranke Menschen zu Almosenempfängern zu degradieren;

5. Veränderung des Steuer- und Wirtschaftsrechts, um die großen Kapitalgesellschaften verstärkt in die Pflicht zu nehmen, durch Steuerzahlungen zum Gemeinwohl beizutragen.

Wer die deutsche Infrastruktur nutzt, wer wie selbstverständlich davon ausgeht, dass unsere Verkehrswege funktionieren und wem umfassender Rechtsschutz durch drei Instanzen gewährt wird, der muss auch in Deutschland Steuern zahlen.

Soweit der Befund zum Koalitionsvertrag vom November 2005, soweit auch unsere Vorschläge, Forderungen und Angebote.

Große Koalition - eine Chance für Menschen mit Behinderung? Eine Chance sicherlich, denn viele Zielvorstellungen des Koalitionsvertrages weisen in die richtige Richtung. Zahlreiche Aussagen sind aber noch zuwenig konkret, zuwenig handlungsorientiert. Es fehlen die klaren Aussagen. Hier bieten der DBR und seine Mitgliedsverbände ihre Kooperation an.

Auch diese Bundesregierung will sich daran messen lassen, inwieweit die Wirtschaft angekurbelt und Arbeitslosigkeit abgebaut wird. Das ist sicher ein richtiges Ziel.
Wir werden sie vor allem daran messen, wie stark die Bundesregierung sich für Chancengleichheit und Nachteilsausgleiche von Menschen mit Behinderungen und chronischen Erkrankungen einsetzt.

Inwieweit die Forderungen des DBR Gehör finden, wird sich auch in der Arbeit der neuen Behindertenbeauftragten zeigen. Wir sind gespannt auf die Ausführungen von Frau Evers-Meyer. Ob wir die gleichen politischen Linien vertreten, wird sich zeigen. Der DBR mit seinen Organisationen und Mitgliedern ist jedenfalls zur konstruktiven Zusammenarbeit bereit.

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