3.12.2010 - Am 3. Dezember 2010 fand in Berlin eine große Veranstaltung des Deutschen Behindertenrates (DBR) zum Welttag der Menschen mit Behinderungen statt. Trotz Eis und Schnee kamen fast 200 Teilnehmer ins Alte Stadthaus Berlin. Gemeinsam diskutierten sie zur inklusiven Bildung sowie zum Nationalen Aktionsplan zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention.
Deutlich wurde: Die volle und wirksame Teilhabe behinderter Menschen in allen Lebensbereichen ist nun nicht mehr ein Akt der Fürsorge, sondern mit der Konvention ein verbrieftes Menschenrecht geworden, das behinderte Menschen einfordern können.
So betonte denn der Vorsitzende des DBR-Sprecherrates, Adolf Bauer in seinem Eröffnungsrede auch: "Die Chancen, die die Konvention für eine inklusive Gesellschaft bietet, sind enorm. Durch einen guten Aktionsplan können wir diese Chance nutzen und wegweisende Zeichen setzen. Wir wollen vorankommen auf dem Weg zur wirklichen Inklusion, denn wir stehen noch am Anfang". Es war ein gutes und ermutigendes Zeichen, dass Bundespräsident Christian Wulff die Schirmherrschaft für die Veranstaltung übernommen hatte und über sie auch in der Presse mehrfach berichtet wurde!
Die Veranstaltung, die in Kooperation mit der Hauptschwerbehindertenvertretung Berlin organisiert und durch die Aktion Mensch finanziell unterstützt wurde, setzte inhaltlich zwei Schwerpunkte: Während am Vormittag die inklusive Bildung nach Art 24 BRK im Mittelpunkt stand, ging es am Nachmittag um die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention insgesamt durch einen Nationalen Aktionsplan der Bundesregierung.
In ihrem Eingangsreferat betonte Prof. Degener, dass die UN-Behindertenrechtskonvention inzwischen eine nicht erwartete Bekanntheit erlangt hat, ihre Inhalte sich in Deutschland wie ein Lauffeuer verbreiteten, die so schnell "nicht mehr zu löschen" sein werden. Besonders würdigte sie die Rolle der Behindertenverbände als Motor dieser positiven Entwicklung. Prof. Degener schildete sehr anschaulich die Entstehung der Konvention und ging hierbei auch auf inhaltliche Diskussionen zur Schaffung des Art. 24 BRK ein. Dabei wurde deutlich, dass die Konvention absichtlich das Recht auf inklusive und diskriminierungsfreie Bildung anstelle eines Rechts auf Sonderschule oder eines Elternwahlrechts vorsieht und den Begriff der Inklusion in Abgrenzung zur Integration verwendet. Dies muss bei der innerstaatlichen Diskussion zur Umsetzung inklusiver Bildung beachtet werden. Prof. Degener forderte, das subjektive Recht auf Regelschule für behinderte Kinder gesetzlich zu verankern und das Regelschulsystem zu ändern, so dass Sonderschulen sukzessive aufgelöst werden könnten.
In einem Dialoggespräch Betroffener wurden die positiven Wirkungen des gemeinsamen Lernens für alle Kinder, aber auch die Erschwernisse für Eltern behinderter Kinder deutlich: sie müssen den Weg der Integration für ihre Kinder bislang noch unter großen Mühen einfordern und erstreiten. Herr Grams, der bereits vor 25 Jahren integrativ beschult wurde, schilderte überaus einfühlsam und ermutigend seine positiven Erfahrungen aus dieser Zeit. Frau Loss als Mutter eines Kindes mit Autismus beschrieb den enormen zeitlichen, inhaltlichen und persönlichen "Kraftakt", sich gegen "die normale Logik zugunsten der Sonderschule" zu entscheiden und stattdessen einen Platz in der Integration zu erstreiten.
In der anschließenden politischen Diskussion zur Umsetzung des Art. 24 BRK wurde die Notwendigkeit für Veränderungen einhellig bejaht, jedoch auch deutliche Differenzen in konkreten Einzelfragen sichtbar. Die Betroffenensicht, die das Recht auf Regelschule für jedes einzelne behinderte Kind betont, traf auf den systemischen Blick, der eher strukturelle Gegebenheiten, die Haltungen Beteiligter aber auch die organisatorische Machbarkeit im System im Blick hat. Handlungserfordernisse für Bund (Standards für gute Inklusion, Implementierungsforschung), Länder (Entwicklungsziele für Kommunen setzen, Einbeziehung aller Schulformen in die Inklusionsdebatte der KMK) und Kommunen (Entwicklungen vor Ort, Vernetzung) wurden deutlich benannt und fanden im Publikum Unterstützung.
Ein lebendiges Theaterstück des Theaters Thikwa machte erlebbar, wie einzigartig und zuweilen auch eigenartig die verschiedenen Tiere sein können. Doch das hinderte sie nicht daran, sich zusammenzutun; Sogar die Inklusion der "Weihnachtsgans Auguste" gelang!
Am Nachmittag dann stand der Nationale Aktionsplan der Bundesregierung zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention im Focus der Veranstaltung.
Zunächst trugen drei Mitglieder des DBR-Sprecherrates auf der Grundlage des entsprechenden DBR-Forderungspapiers die Forderungen der Verbände hinsichtlich eines Aktionsplanes vor. Dabei ging Herr Bauer (SoVD) auf die Handlungsfelder Bildung, Ausbildung, soziale Teilhabe und Gleichstellung ein. Für die witterungsbedingt verhinderte Frau Mascher (VdK) stellte Herr Kaffenberger die Forderungen der Verbände in den Bereichen Berufliche Teilhabe, Barrierefreiheit und Frauen vor. Für die Bereiche Gesundheit, Pflege trug Frau Loskill die umfassende Positionierungen des DBR vor.
Anschließend ging Frau Lampersbach, Leiterin der Abt. V und damit federführend mit der Erarbeitung des Nationalen Aktionsplans betraut, auf die Perspektiven des BMAS bei der Erarbeitung des Aktionsplans ein. Sie hob die wichtige Funktion der Verbände im Erarbeitungsprozess hervor und deutete erste Inhalte für den Aktionsplan an. Zugleich wies Frau Lampersbach auf die Langfristigkeit der Umsetzung der Konvention und die zahlreichen "Barrieren in den Köpfen" hin, gegen die nur in vereintem Engagement mit der Zivilgesellschaft vorgegangen werden könne.
Danach diskutierten die behindertenpolitischen Sprecher aller Bundestagsfraktionen Möglichkeiten von Parteien und Fraktionen, die Umsetzung der BRK voranzubringen. Sie stellten eigene Initiativen in Fraktion und Partei vor, gingen aber auch auf Herausforderungen und Schwierigkeiten dabei ein. Anschließend bestand für das Publikum die Möglichkeit für Nachfragen, was auch sehr intensiv genutzt wurde.
Zum Abschluss der Tagung gab Herr Bauer als bisheriger Sprecherratsvorsitzender des DBR – wie traditionell üblich – den Staffelstab des DBR-Sekretariates weiter. Ihn übernahm Barbara Vieweg für das Weibernetz e.V.; dieses wird nunmehr als Verband der 3. Säule des DBR das DBR-Sekretariat führen. Als Zeichen, dass der DBR auch künftig in der Behindertenpolitik hartnäckig arbeiten müsse, es also weiterhin des "Bohrens dicker Bretter" bedarf, übergab Herr Bauer an Frau Vieweg symbolisch auch noch einen großen Handbohrer und das "dicke Brett".
DBR-Staffelstabübergabe (1713 KB) Adolf Bauer (DBR-Sprecherratsvorsitzender und SoVD-Präsident) übergibt den Staffelstab an Barbara Vieweg (Weibernetz e.V.). |